Heimat-Karte
Die Werke der Künstlerin Satomi Edo reichen in alle Winkel der Welt – oder besser Welten. Gezeigt werden imaginäre Landkarten in Gestalt von Cut-Outs. In der Folge setzt sich die Künstlerin intensiv mit dem neu entstandenen Raum und den Landschaften auseinander, wie z.B in der Installation „NEW GROUND 15022024“, die sie für die Ausstellung in der Volkshochschule Essen entwickelte hat.
Die Genese von Satomi Edos Werken beginnt jeweils mit einem Ei. Am Anfang steht die alltägliche und zugleich rituelle Tätigkeit, ein Ei zu pellen. Durch das Aufbrechen der Schale entstehen zufällige Fragmente und Bruchstücke, aus deren Anordnung die Künstlerin ihre Weltbilder konstruiert. Sie nimmt dabei kulturübergreifend Bezug auf einen Schöpfungsmythos, in dem das Ei als Symbol für den Ursprung des Universums gilt. Neben der symbolischen Kraft der Form des Eies ist es die zarte Hülle, die mit etwas Zerbrechlichen und Schutzbedürftigem assoziiert wird. Es ist eine besonders eindrückliche und schöne Form, das Leben zu schützen.
Die Künstlerin kontrastiert unseren Blick auf die Welt mit imaginären Landkarten. Diese sensibilisieren dafür, dass unsere Wahrnehmung immer schon vermittelt ist. In Form eines alternativen Symbolfeldes erschafft Edo einen genuin künstlerischen Bezugsrahmen. Hier ist es möglich, vielfältige Fragen zu stellen, die an den Grund der Ordnung - unserer Repräsentation(en) von Welt rühren. Die nur schwer zu beantwortende Frage ‚wem gehört die Welt‘ steht dabei neben der Frage wie territoriale Besitzansprüche in einem beziehungsreichen künstlerischen Spiel unterlaufen werden können?
Edos künstlerische Arbeit besteht aus einzelnen Werkgruppen, die verschiedene Techniken der Weltvermessung spielerisch in Szene setzen. So zum Beispiel in den Objekten in der Vitrine (rechts), die kulturelle Faltungstechniken darstellen. Abgekoppelt vom Inhalt unterstreicht die äußere Form sowie ästhetische Anmutung der Objekte den symbolischen Akt der ‚Landnahme‘. So passt die gefaltete Landkarte in eine Jackentasche. (Vitrine: türkische Faltentechnik für ein Notizbuch) Die typische Touristen-Karte (große graue Fläche) beispielsweise präsentiert Sehenswürdigkeiten. Diese hat zudem die Funktion, unseren Weg zu lenken. Da sich die Sehenswürdigkeiten meist im Zentrum befinden, trennt die Karte das Gezeigte scharf von der Peripherie. Wir werden dafür sensibilisiert, dass unsere Orientierung mit einer Wertung einhergeht. Zudem wird suggeriert, dass ein kompletter Überblick über Stadt/ Gesamträumlichkeit möglich ist. Durch Karte entsteht eine Prägung, wie wir eine Stadt wahrnehmen. So definieren die Himmelsrichtungen unser Verhältnis zum Raum. Die Karte schreibt sozusagen vor bzw. wie wir uns zu unserer Umgebung ins Verhältnis setzen. Dabei geht die Künstlerin der Frage nach, ob es möglich ist, , die ‚Ordnung‘ selbst zu betrachten. Dies rührt an den blinden Fleck. Sein eigenes Bild sieht man nie, sondern immer vermittelt durch ein seitenverkehrtes Bild im Spiegel. Ihre kritische Form des Kartenlesens eröffnet einen zugleich politischen und spielerischen Zugang. Genau dieser Zwischenraum definiert Edos persönliche künstlerische Landkarte: wo bin ich? Wo gehen wir weiter?
Die in der Installation „NEW GROUND 15022024“ zu sehenden imaginären Kontinente folgen der zufälligen Signatur, die durch die ritualisierte Tätigkeit, ein Ei zu pellen, entstanden ist. Die Künstlerin hat die Formen selbst aus einer MDF Platte kleinteilig ausgesägt. In der imaginären Formation der Kontinente, die die Fläche durchziehen, entsteht eine Bewegung. Diese breitet sich über die Ränder des Paravents hinaus aus und bezieht den Ausstellungsraum mit ein beziehungsweise entgrenzt diesen. Mittels der grenzüberschreitenden Bewegung unterstreicht Edo die anarchische Kraft der Kunst. Die hier gezeigte Ausstellung begreift sie als Einladung, zusammen zu denken, kritisch zu sein, im Sinne von gemeinsam kreativ zu sein. Wichtig, ist es ihr, den Arbeitsprozess offenzulegen und zu unterstreichen, dass dieser nicht beendet, sondern offen ist.
Das auf der großen Wand ausgestellte Relief variiert das zentrale Thema der kartophilen Landvermessung auf vieldeutige Weise. Es besteht aus geschichtetem Millimeterpapier, wie dieses von Architekten, Ingenieuren, Grafiken und Designern verwendet wird. Damit wird das Thema assoziiert, die Welt zu gestalten. Die imaginäre Landkarte wird kontextualisiert So symbolisiert die Farbe blau Japan, und damit die Heimat der Künstlerin. Das Orange findet Verwendung bei deutschem Millimeterpapier. Mittels der Farbsymbolik wird unsere Wahrnehmung dafür geschärft, dass es keine Neutralität gibt. Jeder von uns hat eine kulturelle Prägung beziehungsweise Einstellung. Am Anfang steht ein (Vor –) Urteil. Die Schichtung verschiedener imaginärer Landkarten deutet darauf hin, dass immer schon eine Prägung durch die eigene Heimat bzw. durch das eigene Herkunftsland besteht. Durch das Schichten als einer künstlerischen Praxis entsteht zudem ein subtiles Spiel von Oberfläche und Tiefe. Zudem sensibilisiert es dafür, dass der Umgang mit Karten immer schon eine paradoxe Ausgangssituation definiert. Die Landkarte ist zweidimensional, beschreibt aber einen dreidimensionalen Raum. Das Relief enthält eine versteckte dritte Räumlichkeit. Es ist in einem Weder Noch angesiedelt: einem Zwischenraum.
Die in der Vitrine links gezeigte Plastik trägt den Titel ‚Schwarzes Loch‘ Es bleibt offen, wo die Öffnung hinführt bzw. endet. Satomi Edo sieht hierdurch das Gefühl von kultureller Unsicherheit vermittelt, was beispielsweise mit Erdbewegungen in Japan in Verbindung gebracht werden könnte. Welche Assoziation haben Sie beim Betrachten der Oberfläche der Plastik?
Ich danke der Künstlerin für diese fein komponierte und zudem sehr anregende Ausstellung. Sie sind nun alle eingeladen, ihre eigenen Assoziationen zusammenzutragen und miteinander zu diskutieren. Zudem möchte ich Sie sehr herzlich zu den beiden Veranstaltungen einladen, die diese Ausstellung begleiten. Zum Vortag von Renato Liermann über Weitsichten in Kartograhie und Kunst am 28.Februar um 19 Uhr. Zum Gespräch mit der Künstlerin laden wir am 20. April von 15-16.30 Uhr ein. Anmeldung erforderlich. Es gibt 12 Plätze Ich möchte zudem den Hausdienst und der Haustechnik danken, die beim Aufbau unterstützt haben.
Überleiten zur Performance: Anlässlich der Vernissage gibt es eine Improvisation-Performance „Ei des Kolumbus“ mit Yoshiyuki Hoshi und Anja Kreysing. Die Performance wurde von den Künstlern eigens für die Ausstellung entwickelt und ist somit eine Welturaufführung und einzigartig.
Dr. Angela Weber
Die Neue Galerie
Volkshochschule Essen