Satomi Edo

Allgemeine Konzept
Interview
Heimat-Karte
Fragmentarische Utopie - Jp
Fragmentarische Utopie - En
Fragmentarische Utopie - De
New ground
Recognition of History - Hiroshima
...gestrige Anwesenheit
Lady - made
Von seidenen Fäden
Das Schloss - Das Paradies
α und Ω

Deutsch

 

Für den Katalog Satomi Edo Fragmented Utopia (Fragmentarische Utopie)

Fragmentarische Erinnerung – Der Turmbau zu Babel – Das Ei der Imagination Text: Mariko Mikami

"Zwei Kräfte herrschen über das Weltall: Licht und Schwere." Simone Weill, Schwerkraft und Gnade

Mitten in einem Wohngebiet am rechten Rheinufer eines Kölner Außenbezirks ragt unvermittelt ein Turm mit einer bemerkenswerten Fassade aus Basaltsteinen empor. Das 20 Meter hohe und 8 Meter breite Bauwerk mit dem Pyramidendach beherbergt heute das Museum Zündorfer Wehrturm. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich um eine zum Ausstellungsraum umgebaute ehemalige Bastion aus dem 12. Jahrhundert, als Deutschland noch in mehr als 300 Kleinstaaten aufgeteilt war. Festungen dieser Art waren vielerorts nötig, um feindliche Invasionen abzuwehren. Die auf eine minimale Größe reduzierten schmalen Fenster vermitteln noch ihren ursprünglichen Charakter als Schießscharten. Nach mehr als 800 Jahren Bestand wurde der Wehrturm 1980 vom Kölner Architekten Gottfried Böhm umgebaut und fungiert seitdem als Zweigstelle des Kölnischen Stadtmuseums. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten wurde die kulturhistorische Sammlung jedoch 1999 aufgelöst. Seitdem wird die Einrichtung von einem Förderverein weitergeführt, der dort regelmäßig Ausstellungen bildender Künstler sowie musikalische Veranstaltungen organisiert. In diesem geschichtsträchtigen Bauwerk ist nun die Einzelausstellung Fragmented Utopia (Fragmentarische Utopie) von Satomi Edo zu sehen. Ihre Arbeiten spiegeln die schillernde vielschichtige Mehrdeutigkeit von Identität wider und das daraus resultierende Unbehagen vor dem Hintergrund ihrer eigenen Herkunft, denn die Künstlerin stammt aus einer der Minderheit zugehörigen christlichen Familie in Kyoto. Ihre konzeptionellen und zugleich handwerklich kunstvoll ausgeführten Arbeiten reichen von zarten Zeichnungen mit dem Motiv von Eierschalen über an Bäumen aufgehängten beleuchteten Zelten Obdachloser bis hin zu Installationen, die eine gesamte Gebäudestruktur durchdringen. Ihre Werke sind geprägt von einem warmherzigen Blick auf die unsichere und fragile physische, soziale und psychische Existenz, u nd zeigen Sympathie für das unscheinbare Kleine und Formlose, das bei groß angelegten Narrativen eventuell übersehen werden könnte.

In dieser Ausstellung werden vor allem ihre Werkreihen Phantom Architecture (Phantomarchitektur), City Map (Stadtpläne) und Black Hole (Schwarzes Loch) gezeigt, die sich an diesem Schauplatz wie Atemzüge entfalten. Edos geschärfte und dennoch milde Sichtweise und Handarbeit als die einer Architektin und Nonne kommt hierin voll zur Geltung.

Die nackte gelbe Glühbirne und Gebäude-Achse

Man betritt den Festungsturm durch eine kleine Pforte. Bei bewölktem Himmel ist es außergewöhnlich dunkel im Innern. Als erstes sticht einem die nackte gelbe Glühbirne ins Auge, die von der Decke hängt.

Wie hypnotisiert richtet man den Blick empor zu dieser Glühbirne und erkennt, dass der scheinbar begrenzte Raum sich weiter nach oben erstreckt, wo sich eine weitere Lichtquelle darbietet. Krude Treppen aus Sichtbeton mit minimalischen Metallgeländern verlaufen symmetrisch zu beiden Seiten des Innenraums. Der einstige mittelalterliche Festungsturm, der durch die Umbauten von Böhm, einem Spezialisten für mystisch-brutale Architektur, erhalten blieb, wirkt kalt und anorganisch, fast wie ein Gefängnis. Doch Edos installierte nackte Glühbirne scheint dieser Umgebung wieder Leben einzuhauchen und erzeugt ein seltsames Gefühl der Erleichterung in dieser beklemmenden Atmosphäre.

City Map

Wenn man die Treppe entlang an der weiß verputzten Innenmauer hinaufsteigt, erreicht man die erste Zwischenetage. Dort begegnet man unbeschrifteten, mehrfach gefalteten Objekten aus festem Papier in Grau oder leuchtendem Blau. In den Glasvitrinen entlang des Gangs sind weitere solcher monochromen Papierarbeiten ausgestellt. Die Formen variieren von miniaturhaft gefalteten Origamis bis zu größeren aufgefalteten Papieren, wo die Knickstellen sichtbar werden.

Die Werkreihe trägt den Titel City Map, aber die Objekte sind keine bedruckten Landkarten, sondern rufen nur die Assoziation wach. Die Formate und Falze erinnern an Sightseeing-Maps, die jeder schon einmal gesehen oder auf Touren benutzt hat. Edo begann mit dieser Falttechnik während ihres Künstleraufenthalts in der Stadt Nettetal an der Grenze zwischen Deutschland und den Niederlanden, wo sie auf Radtouren durchs Naturschutzgebiet solche Wegekarten verwendete.

In dieser Ausstellung werden verschiedene Methoden präsentiert, darunter das „Miura-Falten", das vom Luft- und Raumfahrtforscher Kosuke Miura entwickelt wurde, sowie die „Türkische Falttechnik", bei der sich Karten mit einer Hand entfalten lassen. Edos City Map zeigen jedoch weder unseren aktuellen Standort noch ein Ziel oder eine Gesamtansicht. Stattdessen laden sie uns ein, eine Fantasiestadt zu betreten, ohne Startpunkt oder Bestimmungsort. Durch den imaginären Akt des Entfaltens könnten wir jedoch in die Lage versetzt werden, uns einer umfassenden Sicht anzunähern.

Black Hole und Phantom Architecture

Steigt man die Treppe zur zweiten Plattform hinauf, dann sieht man an der Wand eine weitere Treppe aufwärts, eventuell ein Relikt aus dem ehemaligen Festungsturm. Dort ist ein seltsam geformtes Objekt ausgestellt, das wie ein schwarz glänzender Meteorit aussieht.

Bei genauerem Hinsehen erkennt man mehrfach geschichtete feine Filamente. Das an eine schwerelose Raumstation erinnernde Objekt hat eine innere Vertiefung, während sein plastisches Äußeres unebene Wölbungen aufweist. Es gehört zur Werkreihe Black Hole und wurde nach der Vorlage gescannter Eierschalen in einem 3D-Drucker gefertigt. In der gegenüberliegenden Vitrine ist die Serie Phantom Architecture ausgestellt, die nach nie gebauten oder nicht mehr existenten Gebäuden benannt ist. Diese Bauwerke sind ohne weiteren Hintergrund in schwarzer Tinte auf farblosem Glas gezeichnet und in weiße Rahmen eingefasst – eine konsistente Methode, um die Merkmale von Zeit und Ort zu homogenisieren. Man hat ein Dèja-vu-Gefühl, die Bauwerke von irgendwoher zu kennen, jedoch lässt die weiße Vitrinen-Beleuchtung von oben die Architekturen seltsam unwirklich erscheinen und erzeugt einen futuristischen Eindruck. Der architektonische Entwurf des „Chicago Tribune Tower" von Adolf Loos befindet sich im Zentrum der Vitrine. Es ist das Modell für eine Mega-Konstruktion aus dorischen Säulen, das 1922 beim weltweit ersten Designwettbewerb für den Hauptsitz der Chicago Tribune, der führenden Zeitung im Mittleren Westen der USA, eingereicht wurde.

Bei genauer Betrachtung erkennt man anstelle von Ziegeln, Steinen oder Fliesen, die die Fassaden der verschiedenen Bauwerke bilden würden, geschriebene Namen und Adressen der geplanten Standorte, wobei die Schriftzeichen auf der linken Hälfte des Gebäudes korrekt und diejenigen auf der rechten Seite spiegelverkehrt lesbar sind. Dafür wurden zwei Glasscheiben mit identischen Begriffen gegengleich aneinandergefügt.

Die wie Ziegelsteine angeordneten Wörter sind handgeschrieben und mitunter so winzig klein und dicht, dass sie kaum zu identifizieren sind. Es sind lateinische und kyrillische Buchstaben oder asiatische Schriftzeichen, den jeweiligen Sprachen der Orte entlehnt, wo die Gebäude einst standen oder fiktiv stehen sollten. Statt Narrative oder Konzepte verweisen die Informationen hier lediglich auf topographische Daten. Auf der Galerie der fünften Etage ist Frank Lloyd Wrights „Mile High Illinois“ (1956) zu sehen, ein Wolkenkratzer, der mit einer Meile (=1600 Meter) die vierfache Höhe des damals weltweit höchsten Gebäudes, des Empire State Building, erreichen sollte. Der spanische Architekt David Romero hat dieses nie realisierte Bauwerk mithilfe von Computergrafiken rekonstruiert, aber Edos Wolkenkratzer mit den Schriftzeilen von Orten und Adressen erinnern eher an Sūtra-Kopien.

Die hier präsentierte Serie Phantom Architecture versammelt Werke von international berühmten Architekten und Künstlern aus Ost und West, Vergangenheit und Gegenwart, darunter Zaha Hadid, Tadao Ando, Bruno Taut, Étienne-Louis Boullée, Anish Kapoor und El Lissitzky, die trotz kühner Vorstellungen, für die sie teils stark kritisiert wurden, in ihrer Epoche als revolutionär und avantgardistisch galten. Edos Arbeiten gehen jedoch über eine reine Hommage an historische Architektur hinaus. Die Serie entstand zwar während des ersten Shutdowns infolge der Covid-19-Pandemie 2020 in Deutschland, aber ihre Matrix bildet die bereits 2016 begonnene Werkreihe Fragmented Memory (Fragmente der Erinnerung), deren Glasgemälde an einst bewohnte Häuser und Gebäude erinnern.

Vor diesem Hintergrund birgt die Phantom Architecture auch ganz persönliche Erinnerungen an die isolierte Situation während der Covid-19-Pandemie sowie teils unliebsame Reminiszenzen an nicht immer ganz behagliche Behausungen.

Der Turmbau zu Babel

In der Vitrine auf der dritten Etage befindet sich ein für die Ausstellung im Zündorfer Festungsturm neues Werk der Künstlerin: "Der Turmbau zu Babel", ein 1679 von Athanasius Kircher entworfenes Modell. In biblischer Vorzeit besaßen die Menschen eine einzige Sprache, in der man miteinander kommunizierte. Als sie danach trachteten, einen Turm zu bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reichte, bestrafte der erzürnte Gott ihr frevelhaftes Ansinnen und sorgte für eine Sprachverwirrung, die eine gegenseitige Verständigung unmöglich machte, sodass die Bewohner das Projekt aufgeben mussten. Nach alttestamentarischer Überlieferung (Gen. 11, 1-9) entstanden somit die diversen Fremdsprachen auf der Welt.

Obwohl der Turm nie wirklich existierte, faszinierte dieses Hirngespinst im Laufe der Geschichte die Menschen und bildete ein oft verwendetes Sujet in Literatur und Kunst. Im berühmten Gemälde "Der Turmbau zu Babel" von Pieter Brueghel erinnert das Bauwerk eher an das römische Kolosseum als an einen Turm. Seine komplexe Struktur ist seltsam verzerrt und vermittelt eine unheimliche, surreale Atmosphäre.

Im Gegensatz dazu ist Kirchers "Der Turmbau zu Babel", den Edo für ihre Darstellung erkoren hat, ein einfacher 23-stöckiger Turm, der in den Himmel ragt. Kircher selbst erklärte seinerzeit, dass ein derart hohes Gebäude physisch und wirtschaftlich unmöglich sei, aber seine extrem einfache Darstellung dieses aberwitzigen Projekts wirkt gar nicht so unrealistisch. Man hat das Gefühl, man könnte die Wendeltreppe um die Fassade herum erklimmen, um von oben die Aussicht zu genießen.

Edos babylonisches Bauwerk aus Zeichen lässt sich hingegen nicht erklimmen. Je näher man ihm kommt, desto mehr zieht der Text die Aufmerksamkeit auf sich. In dem Maße wie die lesbare Information sichtbar wird, zerfällt die Konstruktion des hoch aufragenden Gebäudes. Edos Darstellung des babylonischen Turms bezieht sich weniger auf die Kultstätte "Babylon" (etymologisch hergeleitet von Babill Babilim, Babilani: Tor der Götter), als vielmehr auf die Idee eines real existierenden Topos beziehungsweise die Sehnsucht nach einem unerreichbaren Ort mit der resignativen Einsicht, dass es diesen nicht gibt.

In Kafkas Kurzgeschichte "Das Stadtwappen" wird das Scheitern des Baus der Untätigkeit und Rücksichtslosigkeit der Menschen zugeschrieben. Es herrscht die Überzeugung, das einmal beschlossene, groß angelegte Bauvorhaben bliebe als Idee bestehen. Man glaubt, dass die Errichtung eines Turms bis zum Himmel mit dem Fortschritt des menschlichen Wissens und der Technologie schneller voranschreiten würde, und schiebt den Beginn der Konstruktion immer weiter auf. Stattdessen widmet man sich dem Aufbau der Arbeiterstadt, was wiederum zu Streitigkeiten über Grund und Boden führt. Insofern spiegelt Kafkas Parabel unsere gegenwärtige politische Situation bezüglich Infrastruktur und territorialem Anspruch wider.

Die Serie Phantom Architecture zitiert auch zerstörte Gebäude wie das World Trade Center, das bei den Anschlägen vom 11. September 2001 in Schutt und Asche lag, sowie das Fukushima Daiichi-Kernkraftwerk, das dem Erdbeben und Tsunami vom 11. März 2011 zum Opfer fiel. Damit wird klar, dass Edo nicht nur den ästhetischen Aspekt der ausgewählten Architektur betont, sondern ihren Stellenwert im kollektiven Gedächtnis der Gesellschaft mitberücksichtigt sowie die historischen und geopolitischen Verzerrungen, die solche gigantomanischen Konstruktionen umgeben. Insofern lässt sich Edos Phantom Architecture nicht als Sehnsucht nach einem verlorenen Paradies in Gestalt einer liberal-idyllischen Daseinsform (Arkadien) begreifen, sondern stellt vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit dem utopischen Entwurf à la Thomas Morus dar. Dieser ersann eine unmenschlich verwaltete Gesellschaft, wo Individualität dem Gleichheitsprinzip zum Opfer fällt, was im Kontext der Kritik am Kommunismus und Sozialismus interpretiert wurde. Aber sogar im 21. Jahrhundert, wo der Kapitalismus unaufhaltsam auf dem Vormarsch ist, dominieren die großen Narrative in den Megastrukturen inklusive ihres Zusammenbruchs (11/9 und 11/3), während individuelle Geschichten in Vergessenheit geraten. Ist es gar das Wesen der Geschichte, dass menschliche Individualität als politisches Werkzeug fungiert?

Entasis E-I II

Nachdem man das symmetrisch angeordnete Treppenhaus mit den Zwischenetagen erklommen hat, öffnet sich plötzlich der Blick und der Raum wird hell. Auf dieser siebten Plattform steht anstelle der trapezförmigen Vitrinen in den anderen Stockwerken ein Turm aus Kupferdraht, über dem ein von der Decke hängendes Gänseei schwebt: Entasis E-I II. Die Konstruktion besteht aus übereinander gestapelten Kupferspulen, die zum Aufwickeln von Schweißdraht verwendet werden. Es ist lediglich ein Gerüst, innen hohl - so als würde die Phantom Architecture, wie wir sie bis dahin gesehen haben, nun als reine Matrix erscheinen. Hier finden sich keine topografischen Hinweise in Form von Zeichen. Das darüber schwebende Ei verleiht der Installation eine surreale Note. Landkarten und Eierschalen tauchen bereits in Edos früheren Werken auf. Das Motiv der New Ground-Serie sind fiktive Landkarten, für die zufällige Schalenfragmente gekochter Eier verwendet wurden. Diese werden in vergrößertem Maßstab nachgezeichnet und auf Folie gedruckt, um sie an Glasscheiben zu kleben. Dadurch entsteht eine plastische Wirkung wie bei Bleiglasfenstern.

Edo hat auch Workshops mit gekochten Eiern veranstaltet. Die Teilnehmer schälen diese auf einem Teller, wo sie die Fragmente frei anordnen und danach assoziieren, was sie in den Mustern erkennen, bevor man am Schluss die Eier gemeinsam verzehrt. Diese aus Eierschalen entwickelten Kartografien wirken eher wie echte Landkarten als jene in der Ausstellung präsentierten City Map. Es fehlen jedoch auch hier territoriale Grenzlinien, weder Kontinente noch einzelne Staaten werden abgebildet. Wie domestiziert sind wir doch in unserem modernen nationalstaatlichen System, wenn wir die zufällige Konstellation der fiktiven Karten (aus Eierschalen) mit den heute im Umlauf befindlichen Topografien vergleichen. Die indigenen Einwohner missachtend, wird aus einer beschränkten Sichtweise "die Entdeckung eines neuen Kontinents" proklamiert und diese Form von Gewalt der Ignoranz gestattet den Entdeckern, dem eroberten Terrain Namen zu geben. Das kollektive Erlebnis des Teilens im Workshop zeigt die Grenzen der eigenen Imagination und Vorurteile auf.

In Entasis E-I II wird das Ei nicht als Material für Landkarten funktionalisiert, sondern seine Existenz als solches hervorgehoben. Auf Hochglanz poliert, kann sich der Betrachter in seiner glatten Oberfläche spiegeln. Das formvollendete Oval schwebt über dem hohlen Turm der Phantom Architecture und erscheint wie die Quintessenz der Schöpfung, die der Mensch nie erreichen kann. Zugleich ist es jedoch unserer Imagination zu verdanken, diese perfekte Schönheit zu erkennen.

Schwerkraft und Licht

Auf der Empore des obersten Stockwerks angelangt, sieht man sich mit einem überdimensionalen City Map auf einem weißen Sockel konfrontiert, dessen leuchtendes Blau eine intensive Präsenz ausstrahlt. Im gefalteten Zustand kann man zwar seine wahre Größe nicht genau ermessen, sich jedoch vorstellen, dass er ausgebreitet ziemlich umfangreich sein muss. Zwei flankierende nackte Neonröhren beleuchten das Objekt mit kalt-weißem Licht im Kontrast zum warmen Tageslicht, das durch die Dachluke fällt. Vom Deckenbalken hängt ein Stromkabel herab, das, wenn man über das Geländer nach unten schaut, dort mit der gelben Glühbirne im Erdgeschoss verbunden ist. Durch einen Spalt im Sockel kann man auch das schwebende Ei von Entasis E-I II erkennen.

Treppab nimmt die Dunkelheit mit jeder Stufe zu. Es erinnert an die Worte von Simone Weill: "Die Schöpfung besteht aus der Abwärtsbewegung der Schwerkraft, der Aufwärtsbewegung der Gnade und der Abwärtsbewegung der Gnade in der zweiten Potenz". Schwerkraft bedeutet Verderbtheit, und Gnade ist die einzige Aufwärtsbewegung, die den, wäre er sich selbst überlassen, fallenden Menschen durch bedingungslose Liebe emporhebt. In diesem Sinne wird die Schöpfung als ein tätiger Akt interpretiert, der in gegensätzliche Richtungen zieht, und das Leben in seiner widersprüchlichen Natur so akzeptiert, wie es ist. In der Ausstellung Fragmented Utopia scheint das in der Luft schwebende Ei einen leichten Aufstieg zu symbolisieren, während die gelbe nackte Glühbirne am unteren Ende des vom Deckenbalken herabhängenden Kabels als Abstieg im Einklang mit der Schwerkraft zu deuten ist. Die gelbe Glühbirne beleuchtet jedoch das düstere Erdgeschoss, und wenn man nach oben schaut, scheint helles Licht durch das Dach. Besucher des Museum Zündorfer Wehrturms steigen auf und ab zwischen dem Ei im obersten Stockwerk und der Lampe im Erdgeschoss und stoßen in den Zwischenetagen auf fiktive Phantomgebäude und Karten, die auf Nichtexistierendes verweisen. Sie bewegen sich hin und her zwischen Imagination und Realität, zwischen Bildern, die erscheinen und verschwinden. Als sammelten sie Bruchstücke der Erinnerung, um einen Turm daraus zu errichten, der nie vollendet wird.

(Übersetzung aus Japanisch: Sabine Mangold)