Lady - made
Arachne, Philomela, Ariadne, Penelope sind die bekanntesten Handwerkerinnen der westlichen Mythologie, die durch ihre Textilarbeiten sowohl die weibliche Existenz prägende Seinsformen zeigen als auch den Ausgangspunkt der patriarchaler Mythen bilden, die ihren Faden bis in unsere Gegenwart ziehen. Spinnen, Weben, Stricken, Häkeln, Sticken stellen bekanntlich die Verflechtung von kulturhistorischen, ideologiekritischen Aspekten dar und heben eine geschlechtsspezifische Konstruktion hervor: die Geduld erfordernde Herstellung der Textilarbeiten wurde mit Werten wie Disziplin, Moral, Religiosität und sehr oft mit einem bürgerlichen Weiblichkeitsideal verknüpft. Dies verursachte eine epochenlang konstant bleibende Trennung in ein männliches Handwerk und in eine häusliche Kunst der Frauen, der Dekorativität, Repetition, Reproduktion und nicht zuletzt Funktionalität im Alltagsgebrauch zugeschrieben wurde. Vielfältige bestickte häusliche Gegenstände wie Betttücher, Tischdecken, Kissen, Taschentücher, Nähkästchen, Ärmel, Schürzen erlebten die Verschönerung durch Garten-, Pflanzen- und Hausmotive. Das Dekorativ-Oberflächliche und motivisch Unanspruchsvolle leitete die Stickereiarbeit zur Abwertung in eine „niedrige“ Kunst gegenüber der „individuellen“ Kunst z.B.: in der Malerei ein.
Da Frauen also nur in Ausnahmefällen an der Kunstproduktion teilhaben konnten, haben sie sich mit all dem befasst, was ihnen gesellschaftlich zuerkannt wurde: sie haben gestickt, genäht, gewebt und gestrickt, haben Miniaturen gemalt, Illustrationen hergestellt, Scherenschnitte hergestellt u.v.m. Dies alles fiel unter das Gebot „weiblicher Talente“. [1]
Im Projekt Lady Made von Satomi Edo geht es ausschließlich um diese „weiblichen Talente“. Die auf dem Flohmarkt ausgesuchten und erworbenen Stickereibilder verwendet die Künstlerin als Readymades. Sie gehören zu einer Form der Populärkunst, die fast nur von Frauen praktiziert wird, die noch dazu massenproduzierte Vorlagen kaufen und sie ausführen. Die „Spaßartikel“, die vor den Weihnachten im Verkauf erscheinen, haben wenig Gemeinsamkeiten mit den erwähnten Weiblichkeitskonstrukten und denen zugeschriebenen Tugenden. Diese freiwillige Beschäftigung gehört zu der Mußestunde, die von Haushaltsverpflichtungen befreit, sie fördert allerdings keine Kreativität oder besondere Konzentration, in ihr geht die Essenz des Handwerks verloren. Aus solchen Stickereibildern stellt Satomi Edo ein Sammelsurium von unterschiedlichen Fragmenten meistens westfälischer Landschafts- oder Gartenidylle und Wiederholungen von schon bekannten Pflanzen- und Tiermotiven zusammen und geht mit ihm eigenwillig um: in einem westfälischen Garten „baut“ sie ein japanisches Haus, das wie ein Eindringling, ein Fremdkörper wirkt, und die harmonische Atmosphäre des Bildes zerstört; ein anderes Bild stellt sie auf den „Kopf“ und somit verändert nicht nur die Sehperspektive, sondern deutet auch die Möglichkeit der „karnevalisierten“ Welt an. Solche künstlerischen Aktionen gehören zu der modernen Gewaltsamkeit, durch die das fremde Werk „angegriffen“ wird und ein neues, autonomes Werk entsteht.
Im aktuellen Projekt sind mannigfaltige Vogelfiguren und Käfige zu sehen, die die Künstlerin aus Stoffen und Spitzen anfertigt und collagenartig den Stickereibildern hinzufügt. Dabei denkt man nollens vollens an die japanischen Holzschnitte (Ishikawa Toyonobu, Isoda Koryusai, Katsushika Hokusai u.a.), die außergewöhnliche Sensibilität gegenüber der Natur zum Ausdruck bringen, und somit auch an den möglichen interkulturellen Eingriff der Künstlerin. Einerseits geht es dabei um ein Zusammenprall zweier unterschiedlichen Wertsysteme – eines primitiven, oberflächlichen Zeitvertreibs im Alltag und einer intellektuellen Auseinandersetzung mit der Geschichte des weiblichen Handwerks, mit alten Traditionen und Ordnungen. Andererseits werden in den Arbeiten die Markierungen in der Textilität, d.h. im Zeichensystem des Gewebes deutlich erkannt. Die leeren Käfige und frei im Bildraum fliegenden Vögel nehmen eine konkrete Symbolik an, sie suggerieren einen Befreiungsakt vom einengenden Puritanismus, von der Nützlichkeit und Kleinlichkeit im Familien-Ghetto und von der negativen Bewertung als „niedrige“ Kunst.
Im Zentrum des Projekts platziert die Künstlerin ein motorisiertes, sich drehendes Element, an dem an einem Faden eine Nadel – das Instrument der Stickerin – befestigt ist. Die Drehbewegung imitiert die sich permanent wiederholende Handbewegung beim Sticken, zugleich wird das Element assoziativ mit einer Uhr verglichen. Aus der Kombination von den Stickereien und dem Drehelement entsteht eine eigentümliche Form der Geschichtsschreibung. Sie zeigt ein Symbolgeflecht, in dem sich die textile Handarbeit, Zeit und Geschichte vernetzen.
[1] Kämpf-Jansen, Helga. Männlicher Blick und weibliche Ästhetik. Frauen Kunst Pädagogik: Theorien, Analysen, Perspektiven, hg. von Adelheid Staudte und Barbara Vogt. Frankfurt a.M. Ulrike Helmer Verlag, 1991. S. 184.
Dalia Klippenstein